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Alt 07.10.2017, 17:59  
Algerich
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Zwanzigster Eintrag, 7. Oktober 2017 - Empirie und Methode

Im Forum wurde heute eine schon gestern begonnene Diskussion über das Futter aus dem Hause Söll fortgeführt. Wie bei vielen Themen, über die hier im Forum geschrieben wird, waren die Meinungen durchaus kontrovers: Da gab es (unter anderem von mir) vehemente Zustimmung auf der einen Seite, weitgehende Ablehnung auf der anderen Seite und die klugen vermittelnden Stimmen. Das alles soll mich hier nicht weiter interessieren, denn die Diskussion wird ja zurecht im Forum und nicht in meinem Tagebuch geführt.

Spannend finde ich hier etwa ganz anderes, worüber wir vielleicht immer zu wenig nachdenken, nämlich die Frage, was Einzelbeobachtungen eigentlich aussagen.

Bleiben wir noch einmal beim Futter: Da hat der erste Forianer geschrieben: An nichts gehen Fische so gern wie an das Futter von Söll (oder so ähnlich). Etwas später in der Diskussion wurde eine Erfahrung berichtet, dass die Fische das gleiche Futter abgelehnt und die noch halb gefüllte Dose dem Abfall überantwortet wurde. Da wir hier ja ernsthaft miteinander umgehen, kann man unterstellen, dass beide Berichte subjektiv "Wahr" sind, also wirklich die einen Fische auf das Futter versessen sind, während die anderen es ablehnen.

Was sagt dieser Befund nun objektiv aus? Ganz offensichtlich nicht sehr viel. Wollte man eine allgemeine Aussage als "Ergebnis" der bis dahin geführten Diskussion ableiten, müsste diese nach den Gesetzen der Logik wohl lauten, dass "einige Fische die Produkte goutieren, andere jedoch nicht" oder auch, dass "das Futter unter bestimmten Bedingungen angenommen, unter anderen jedoch abgelehnt wird".

Die Freunde der Empirie würden an dieser Stelle dem Wissensdurstigen erwidern, er solle es doch selbst ausprobieren. Gesagt, getan: Man kauft eine Dose, ärgert sich über den hohen Preis und beginnt, dass Futter in ein Becken zu geben. Die Fische nehmen es an! Was heisst das jetzt unter objektiven, logischen Bedingungen? Nicht mehr als vorher. Zwar steht es jetzt 2:1 für das Futter, was dessen Hersteller erfreuen dürfte, aber immer noch ist nicht geklärt, warum im zweiten Fall das Futter auf keine Akzeptanz stieß.

Wahrscheinlich diskutiere ich hier einmal mehr ein Problem, das außer mir niemand hat, aber bitte: es ist mein Tagebuch! Ich finde es ganz erstaunlich, dass die Standardfrage eines Forums "wer hat gleiche/ähnliche/andere Erfahrungen gemacht", scheinbar nicht zu validen Ergebnissen führt.

Natürlich ist das nur ein Zwischenergebnis, und die Ursache des Problems ist auch leicht zu finden: Die Frage "Mögen die Fische dieses Futter" (die man gern variieren kann: "Gedeihen Black Mollys im Weichwasser", "Vertragen Buntbarsche Rote Mückenlarven", "Wie empfehlenswert ist ein aktiver Nährboden" und so fort), die Ausgangsfrage also ist viel zu weit gefasst, weil die Bedingungen, unter denen sie untersucht werden soll, nicht deutlich definiert sind und überdies sind selbst zehn Antworten, die wir im Forum vielleicht zusammen bekommen, als Basis für eine allgemeine Aussage meist viel zu gering.

Wollte man die "Beliebtheit" der Söll Shrimp Sticks objektiv testen, müssten wir uns zunächst darauf einigen, an welchen Fischen es getestet werden soll, unter welchen Bedingungen diese Fische zunächst gehalten werden sollen, und mit was und in welcher Menge sie vor Verwendung des Söll-Produkts gefüttert werden. Dann sollte das nicht nur an zwei bis fünf, sondern möglichst an fünfzig im Übrigen gleich behandelten Becken getestet werden. (Die Zahlen habe ich eben improvisiert, aber das Problem kennen wir alle: auch wenn wir in zwei Becken scheinbar das gleiche tun, werden die Becken sich zumeist unterschiedlich entwickeln, einfach deswegen, weil ein Aquarium in der Regel ein komplexes System ist).

Verzichten wir also in Zukunft auf den Versuch einer empirischen Untersuchung und einen auf unseren Einzelbeobachtungen gestützten Erfahrungsaustausch? Nein, das wäre mit Sicherheit die falsche Lösung. Aber wir sollten uns bewusst werden, dass die Erkenntnis "Ich habe bei Problem X zu Lösungsschema Y gegriffen und war erfolgreich" für sich genommen nicht nahelegt, dass bei allen Problemen nach Art von X die Lösung in Y zu suchen ist. Einem anderen Aquarianer, der Problem X gerade hat, können wir natürlich zu helfen versuchen, aber eine korrekte Aussage ist zu diesem Zeitpunkt nur: "Bei mir hat in der Vergangenheit Y geholfen".

Auf Forumsebene bedeutet dies zweierlei: Abpodiktische Aussagen, wie "Man braucht keinen Wasseraufbereiter" (dies stimmt wohl meistens, aber eben nicht immer), sollten so lange als Möglichkeit formuliert werden, wie sie nur auf eigenem Erleben beruhen und erst dann den Schritt von der Erfahrung zum Wissen machen, wenn auch eine plausible Erklärung gegeben werden kann, warum das so ist. Umgekehrt sollten wir als Forum weiter bemüht sein, nicht nur Phänomene festzuhalten, sondern die Ursachen festzustellen.

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